100 Millionen Grad Celsius
Das größte Projekt der Menschheitsgeschichte rollt
Aktualisiert am 05.10.2025 – 11:53 UhrLesedauer: 4 Min.

Ein 110-Tonnen-Koloss rollt über französische Straßen – und bringt das größte Energieexperiment der Welt seinem Ziel ein Stück näher.
Es war eine Reise der Superlative: Das letzte von insgesamt sechs Magnetmodulen für den sogenannten zentralen Solenoiden des internationalen Fusionsreaktors ITER ist an seinem Einsatzort angekommen. Der 110 Tonnen schwere Koloss wurde im französischen Hafen von Fos-sur-Mer entladen und auf einer 104 Kilometer langen Schwerlaststrecke bis zum Baugelände in Saint-Paul-lez-Durance transportiert: vorbei an kleinen Dörfern, über die Autobahn A51 und hinauf auf das ITER-Plateau. Frankreich hatte die Strecke bereits zwischen 2008 und 2011 eigens für derartige Großtransporte ausgebaut.
ITER, der International Thermonuclear Experimental Reactor, ist das größte Energieexperiment der Welt. Am Standort Cadarache im Süden Frankreichs entsteht ein Tokamak-Reaktor, der den Prozess der Kernfusion nachbilden soll – jene Reaktion, die auch die Sonne antreibt. Ziel ist es, nachzuweisen, dass es möglich ist, Energie durch kontrollierte Kernfusion zu erzeugen.
Der zentrale Solenoid gilt als Herzstück des Tokamaks. Er erzeugt die Magnetfelder, die das Plasma im Reaktor stabilisieren sollen. Die gigantischen Module wurden vom Unternehmen General Atomics im US-Bundesstaat Kalifornien gefertigt. Mehr als ein Dutzend weitere US-Firmen waren an der Herstellung beteiligt. Insgesamt liefern die Vereinigten Staaten 13 zentrale Hardwaresysteme für ITER – beteiligt sind mehr als 600 Unternehmen im ganzen Land.
In der Montagehalle von ITER sind derzeit vier Magnetmodule gestapelt und miteinander verbunden. Ein fünftes Modul wurde bereits geprüft und soll demnächst ergänzt werden. Das nun eingetroffene sechste Modul soll bis zum Jahresende die Spitze des Stapels bilden. Zusätzlich ist bis Dezember noch ein Ersatzmodul vorgesehen, das im Fall von Problemen eingesetzt werden kann.
Der ITER-Reaktor ist für die Erzeugung von 500 Megawatt Fusionsenergie ausgelegt – das entspricht dem Zehnfachen der Energie, die für den Start des Prozesses benötigt wird. Seine Vakuumkammer besitzt ein Plasmavolumen, das zehnmal größer ist als bei den größten derzeit existierenden Anlagen. Die Temperaturen im Inneren sollen bis zu 100 Millionen Grad Celsius erreichen. Zum Einsatz kommen dafür hochspezialisierte Materialien wie supraleitende Magnete und Kabel, die bis zu 1.000 Grad Celsius aushalten, sowie leistungsstarke Kryopumpen.
ITER gilt trotz der enormen Ausmaße als besonders klimafreundlich: Bei der Kernfusion entstehen keine Treibhausgase, lediglich eine geringe Menge schwach radioaktiver Abfälle ist das Nebenprodukt. Zudem ist der Reaktor so konzipiert, dass sich die Reaktion im Störfall automatisch beendet – ohne Risiko einer Explosion oder eines Super-Gaus.












