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Mit verstaubten Kaffeehäusern haben Melbournes Kaffeebars nicht viel gemein. Der Kaffee hier erreicht ein neues Niveau. Manche Experten halten ihn sogar für den besten der Welt.

Hinter der schmucklosen Fassade eines ehemaligen Lagerhauses an einer belebten Straße im Zentrum von Melbourne stehen zwei Männer und zwei Frauen in einem hohen Raum und schlürfen. Auf dem Tisch vor ihnen reihen sich Gläser und Schalen, jede Menge Löffel liegen bereit, dazwischen stehen Messgeräte, Laptops und Notizblöcke herum. Aus den Gläsern dampft es. Vorsichtig rühren die Frauen und Männer mit ruckartigen Bewegungen in den Gläsern. Immer vor und zurück, und nur an der Oberfläche des Getränks, wo sich eine Schicht dunkelbraunen Pulvers abgesetzt hat.

Was hier in konzentrierter Abfolge geschieht, nennt sich Cupping. Die Vier sind gerade dabei, verschiedene Proben des nach Wasser zweitbeliebtesten Getränks der Welt zu probieren: Kaffee. Ähnlich einer Degustation edler Weine schlürfen und gurgeln auch die Männer und Frauen der Proud Mary-Rösterei den Inhalt der Gläser vor sich.

Die Prozedur folgt festen Parametern. So befinden sich in den Gläsern meist 8 bis 10 Gramm gemahlene Bohnen, die mit 150 Milliliter, aber nicht mehr als 200 Milliliter Wasser aufgegossen wurden. Das Wasser, das natürlich einen gewissen Härtegrad nicht überschreiten darf, wird dafür drei bis maximal vier Minuten erhitzt, bis es eine Temperatur von 93 bis 95 Grad hat.

Um den sensorischen Qualitäten des Kaffees auf die Spur zu kommen, betreiben die Experten einen hohen Aufwand. Jede Bohne, jede Röstung will verkostet und immer wieder probiert werden, um gleichbleibende Qualität zu gewährleisten. Kaffee zählt zu den komplexesten Getränken der Welt. Wie komplex, das macht Proud Mary-Chef Nolan Hirte an einem Beispiel klar: „Wein hat bis zu 220 unterschiedliche chemische Komponenten. Kaffee hat mehr als 800“, erklärt er. Und im Aunty’s Peg, der schicken Kaffeebar der Rösterei, haben sie es sich zur Aufgabe gemacht, all die Aromen und Noten, die Texturen und Eindrücke freizulegen, die beim Genuss eines wirklich guten Kaffees entstehen können.

Kaltgebraut und etwas anders als bei Mc Donald’s. Melbournes Kaffeebars heben das beliebte Getränk auf ein neues Niveau. (Quelle: Christoph Cöln für t-online)

„Ab einem bestimmten Moment wollte ich einfach den besten Kaffee auf dem Planeten ausfindig machen und die ganze Magie herauskitzeln“, so Hirte. Er sieht sich als Pionier und Entdecker in Sachen Kaffee. „Ich wollte Sachen machen, die niemand zuvor gemacht hat“, sagt Hirte. Und dafür ist Melbourne das beste Pflaster.

In Sachen Kaffee zählt die Metropole im australischen Bundesstaat Victoria neben Kopenhagen, Tokio und San Francisco zu den innovativsten weltweit. Auch wenn ausgerechnet das australische Sydney der Stadt kürzlich den Rang ablief. Wer wissen will, was gerade angesagt ist, der muss nach Melbourne. Baristas (Kaffeefachleute) aus aller Welt pilgern in die quirlige Stadt am Yarra River, um dort mit einigen der Pioniere der Slow-Food-Bewegung zusammenzuarbeiten. Hirte ist einer von ihnen.

Er hat das Aunty’s Peg-Café 2015 eröffnet. Wobei der Name Café es nicht ganz trifft. Eher schon ist das Aunty’s Peg – benannt nach Hirtes schottischer Großmutter – eine Kaffeebar, in der man wie beim Winzer zur Verkostung verschiedener Varietäten und Jahrgänge kommt. „Denken Sie an Charlie und die Schokoladenfabrik, aber für Kaffee“, sagte Hirte dem „Barista Magazin“.

Präzisionshandwerk: Croissants im Lune Lab. (Quelle: Christoph Cöln für t-online)

Guten Kaffee gibt es im Lune zwar auch, im Mittelpunkt steht hier aber etwas anderes: die Croissants. Sie gelten als die besten der Welt (zumindest außerhalb Frankreichs). Gegründet wurde Lune von Kate Reid, einer ehemaligen Raumfahrttechnikerin, die sich als Ingenieurin in der Formel 1 einen Namen machte, bevor sie ihren Job in der Hochglanzwelt der PS-Boliden kündigte und in der heimischen Küche jahrelang an der Perfektion ihrer Croissants werkelte. Inzwischen gibt es Lune-Filialen in Sydney, Brisbane und Melbourne. Für Reids ofenwarme Blätterteig-Hörnchen stehen die Fans oft in langen Schlangen an.

Vielleicht sei die Bar im Stadtteil Collingwood sogar eine ganz eigene Version von Fine Dining, also gehobener Küche, so der 44-Jährige, der mit seinem Rauschebart und dem sonnengegerbten Gesicht aussieht wie ein Almbauer. Milch gibt es im „Aunty’s Peg“ nicht, erst recht keinen Zucker. Dafür aber gewaschene oder ungewaschene Kaffeebohnen, Kaffees aus Einzellagen oder Cuvees, heiß oder kalt extrahiert. Hier zählt nur der unverfälschte Geschmack – und der kann eine überwältigende Fülle von Aromen haben.

An der Holzbar mit nur 12 Sitzplätzen fühlt sich der Besucher wie in einem gemütlichen Laboratorium. Die Barista tragen bunte Kapuzenpullis, Vokuhilafrisuren und ärmellose T-Shirts, die den Blick auf tätowierte Oberarme freigeben. Sie erklären einem geduldig und mit enormer Expertise das Menü, klären auf, was es mit den unterschiedlichen Veredelungs- und Zubereitungsarten auf sich hat und sprechen mit Leidenschaft über ihre Lieblingssorten. Im Hintergrund läuft Hip-Hop-Musik von einem Schallplattenspieler.

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